Dienstag, 29. Mai 2012

'Extra ecclesiam nulla salus' vs. Kirchenaustritt

Kirchenaustritte waren eine Zeitlang ‘clever’ oder ‘schick’ - vielen geht es dabei ums Geld (was angesichts der Teuerungsraten usw. nachvollziehbar ist). Andere wollen ein Zeichen setzen und so gegen bestimmte Verhaltensformen in der Geistlichkeit oder der Kirche insgesamt demonstrieren. 


Wer als Säugling getauft wurde, mag zudem einwenden, er habe eine Entscheidung revidiert, die ihm aufgezwungen worden sei. Übrigens kann der Effekt der Taufe nach Überzeugung der Amtskirche selbst durch den Kirchenaustritt nicht rückgängig machen:

In katholischen Dekreten wird ausgeführt, dass das Sakrament der Taufe zum Heil notwendig ist, Nachlassung der Erbsünde und aller persönlichen Sünden bewirke [...], die die Zugehörigkeit zur Kirche konstituiere und den Getauften auf die Gesetze der Kirche verpflichte. Dem Einzelnen werde "ein unauslöschliches Merkmal, (Character indelebilis) eingeprägt, den er Zeit seines Lebens nicht mehr ablegen kann, selbst wenn er aus der Katholischen Kirche oder überhaupt aus den Kirchen austritt (!).
Der römisch-katholische Katechismus (KKK) äußert sich unter Nr. 1250 folgendermaßen zur Taufe von Kindern:
"...die Kirche und die Eltern würden dem Kind die unschätzbare Gnade vorenthalten, Kind Gottes zu werden, wenn sie ihm nicht schon bald nach der Geburt die Taufe gewährten."
...Überzeugungssache, wie immer in religiösen Fragen. Interessanter ist vielleicht die Frage, ob einem Austritt ein bewusster Entscheidungsprozess pro oder contra Kirche vorangeht. Ein Austritt aus der Kirche ist eine Angelegenheit von vielleicht 15 Minuten – man geht dazu auf das Standesamt, bezahlt wie immer eine Gebühr und unterschreibt ein Formblatt. Das war's.
Noch vor 50 Jahren wäre Schließlich wäre der Vollzug einer solchen Entscheidung für die große Mehrzahl der Deutschen undenkbar gewesen, so sehr war die Gesellschaft von der Überzeugung durchdrungen, dass es außerhalb der Kirche kein Heil gibt. Speziell seitens der römisch-katholischen Kirche wurde der Grundsatz forciert: “Extra ecclesiam nulla salus."


Dis ist die gewöhnlich zitierte Abwandlung eines Ausspruchs von Cyprian von Karthago ('extra ecclesiam salus non est'). Zuvor hatte schon Origenes klargestellt: „Außerhalb der Kirche wird niemand gerettet“
Später wurde aus dem Satz des Cyprian die häufig verwendete Bezeichnung der katholischen Kirche als 'alleinseligmachende Kirche'Dieser Grundgedanke ist seit der Allgemeinen Kirchenversammlung zu Florenz (1438–1445) ein feststehendes Dogma
„Die heilige römische Kirche,[…] glaubt fest, bekennt und verkündet, dass niemand außerhalb der katholischen Kirche - weder Heide noch Jude noch Ungläubiger oder ein von der Einheit Getrennter - des ewigen Lebens teilhaftig wird, vielmehr dem ewigen Feuer verfällt, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist, wenn er sich nicht vor dem Tod ihr (der Kirche) anschließt.
Mit anderen Worten: Gläubig und fromm sein, die biblischen Gebote befolgen, Almosen verteilen und sogar strenges Fasten sollen nach dieser Lesart allein denen zum Heil gereichen, die durch Taufe und Glauben zur katholischen Kirche gehören und in ihr bleiben
 “Mag einer noch so viele Almosen geben, ja selbst sein Blut für den Namen Christi vergießen, so kann er doch nicht gerettet werden, wenn er nicht im Schoß und in der Einheit der katholischen Kirche bleibt” (Fulgentius)
Sofern man sich dieses Dogma für bare Münze nehmen wollte, hätten nicht allein nur ‘Ungläubige’ und ‘Heiden’ die ewige Hölle zu erwarten, sondern auch eine evangelische Ehefrau und die erkennbar um ihr Seelenheil bemühten Evangelikalen sowieso. So viel zur Ökumene. 
Der Fairness halber sollte ergänzt werden, dass die Auffassung von der “alleinseligmachenden Kirche” auch innerhalb der katholischen Theologie ausgesprochen kontrovers diskutiert und nicht durch das kirchliche Lehramt rezipiert wurde. 


Der Konsens geht meist dahin, 'nur' jene zu verdammen, die eine Chance hatten, die katholische Gemeinschaft der Heiligen, Scheinheiligen und vieler ernsthafter ‘Arbeiter im Weinberg Gottes’ kennen zu lernen und diese Chance nicht genutzt haben. 


Erkennbar hat dieser radikale Absolutheitsanspruch in der heutigen Lebenswirklichkeit keine praktische Bedeutung mehr. Geht man der ‘Kirchenfrage’ mit Ernsthaftigkeit nach, verbietet es sich m.E., nur die Rosinen auszuwählen, um nicht den gesamten, höchst ambivalenten Charakter einer Kirche wahrnehmen zu müssen.
Dennoch - wer sich nach wie vor der katholischen Glaubensausprägung tief verbunden fühlt, dürfte ein Verlassen dieser Gemeinschaft im Grunde kaum je in Erwägung ziehen.


Ich für meinen Teil bereue meine Entscheidung vor knapp 20 Jahren bis heute nicht, die katholische Kirche verlassen zu haben - denn es war und ist mir nicht  möglich, mich mit deren Glaubensbekenntnis (Credo), Dogmen und 'Früchten' zu identifizieren. Doch habe ich es mir damals zu leicht gemacht, was allein zählte, war der Grund, 'danach' nicht mehr kirchensteuerpflichtig zu sein.
So gesehen ist zwar meine Entscheidung konform zu meiner Glaubenshaltung, aber sie erfolgte damals aus dem falschen Grund.


Bezogen auf die Heilslehre macht die Mitgliedschaft alleine keinen großen Unterschied: 
Hinsichtlich des persönlich realisierten Glaubens und der christlichen Praxis kann sowohl ein 'Verlorengehen' innerhalb wie als auch außerhalb der Kirche eintreten
Grundbedingung sei das Maß, in dem ein Mensch die Heilsmittlerschaft Christi erkannt habe. Erst diese Einsicht verpflichte dazu, ihr auch äußerlich-kirchlich zu folgen, da man sich sonst wissentlich vom Heil ausschließen würde.


Meiner persönlichen Überzeugung nach kommt es in hohem Maße auf 'Glaubens- und Verhaltensintegrität' an, falls nach unserem Tode eine Rückschau und Beurteilung unseres Lebens stattfindet (nicht mit dem Ziel von Belohnung oder Bestrafung, sondern um zu lernen und seelisch zu wachsen.
Wer ethische Grundsätze und Glaubenswahrheiten für sich glaubt als zutreffend erkannt zu haben und ihnen dann bewusst zuwiderhandelt oder sich aus Trägheit nicht ernsthaft um ihre Beachtung bemüht, wird rückblickend erhebliche Defizite zu verantworten haben. 


Ob der einzelne diese Verantwortung vor seinem 'Höheren Selbst, vor Gott oder vor einem in vielen Religionen vorgesehenen Gericht zu tragen hat, halte ich dabei für sekundär.
Die unausweichliche Selbsterkenntnis wiegt schon zu Lebzeiten oft am schwersten.




Samstag, 5. Mai 2012

Doppelspalt-Experiment

Wesentliche Prinzipien der Quantenmechanik lassen sich mit Hilfe eines Experiments nachweisen.

Klassische Versuchsanordnung:
  1. Zwei Wandschirme werden parallel und hintereinander aufgestellt. Der vordere Schirm hat einen senkrechten Spalt, auf den ein konstanter Lichtstrahl gerichtet wird. → Auf dem hinteren Schirm wird eine senkrechte weiße Linie sichtbar, hervorgerufen von dem Licht, das durch den Spalt im vorderen Schirm fällt.
  2. In dem vorderen Schirm wird zweiter, senkrechter Spalt angebracht und wieder wird ein Lichtstrahl darauf gerichtet. → Auf dem hinteren Schirm erscheinen nun nicht etwa zwei senkrechte Linien, sondern ein Muster aus Licht- und Schattenstreifen. Und schon wurde der Beweis dafür erbracht, dass sich Licht in Wellenform fortbewegt: Der nun sichtbare 'Streifen-Effekt_ zeigt sich infolge von Lichtwellen, die sich von beiden Spalten ausbreiten und wie Wellen auf einem Teich interferieren (überlagern). Albert Einstein zeigte im Jahre 1906, dass Licht sowohl Welle als auch eine Ansammlung subatomarer Lichtquanten ist, die wir heute Photonen nennen. Einsteins Bezeichnung 'Quanten' wurde zum Oberbegriff für den Dualismus der subatomaren Teilchenwelt: Alles unterhalb eines Atoms kann sowohl als abstrakte Welle wie auch als substanzielles Teilchen existieren.
  3. Sendet man von einer Lichtquelle eine Reihe einzelner Lichtquanten / Photonen aus, wird es erst recht kurios: Anstatt sich entweder durch den einen oder durch den anderen Spalt bewegen und auf der hinteren Wand zwei Lichtstreifen zu bilden, erscheint wieder das Interferenzmuster aus dem 2. Durchlauf. Folglich muss sich sich jedes Photon zeitgleich durch beide Spalte bewegen und mit sich selbst interferieren.
  4. Nun kommt der Aspekt direkter Beobachtung hinzu: Sobald zwei Teilchendetektoren auf der rückwärtigen Seite jedes Spalts aufgestellt, verhält sich jedes Photon wie ein einziges Teilchen! Wie eine Murmel nimmt es einen bestimmten Weg durch einen Schlitz und trifft nur auf einen Teilchendetektor.

Doppelspaltexperiment mit angedeuteten Teilchen

Die Interpretationen dieses berühmten Versuchs muten bisweilen abenteuerlich an:


Deutet Durchlauf 4 darauf hin, dass Photonen Bewusstsein besitzen? Jedenfalls verhalten sie sich je nach dem, ob und wie sie beobachtet werden, unterschiedlich. Und sie 'wissen' schon, bevor sie durch die Spalte gehen, ob sie sich wie eine Welle oder wie ein Teilchen verhalten sollen. So entsteht der Eindruck, als kenne jedes Photon scheint die gesamte Versuchsanordnung und könne vorhersagen, welchen Zustand es annehmen soll.
In jedem Fall muss der Beobachter bei Experimenten mit sehr kleiner (subatomarer) Größenskala einbezogen werden, denn er verändert durch die Messung des genauen Weges eines bestimmten Teilchens den Ausgang des Experimentes entscheidend.

In der klassischen Physik beeinflusst keine Messung das Ergebnis eines Versuches; vielmehr basierte die traditionelle Physik auf der Überzeugung, mit Hilfe der physikalischen Gesetze lasse sich (wenn ausreichende Daten vorliegend und genug Rechenkapazität verfügbar ist) alles eindeutig vorhersagen oder herausfinden - beliebig weit in die Zukunft und in beliebig ferner Vergangenheit. 
Diese Überzeugung ist passé, wenn ein Versuchsausgang vom Vorhandensein eines Beobachters abhängt. Die Quantenmechanik bricht mit dieser Tradition. Nach ihr können noch nicht einmal den genauen Ort und die genaue Geschwindigkeit eines einzigen Teilchens kennen. Wir können noch nicht einmal das Ergebnis des einfachsten Experiments vorhersagen, von der Entwicklung des gesamten Kosmos ganz zu schweigen. 

Die Quantenmechanik zeigt, dass wir allenfalls Wahrscheinlichkeiten vorhersagen können, dass ein Experiment zu diesem oder jenem Ergebnis führt. Die Quantenmechanik wurde über Jahrzehnte durch Experimente von hoher Genauigkeit bestätigt - deshalb lässt sich das klassische Modell der Vorhersagbarkeit eindeutiger Zustände nicht mehr aufrecht erhalten. Statt dessen führt die Quantenmechanik Begriffe wie 'Summe aller Geschichten' oder 'Wahrscheinlichkeitsamplitude' ein...


Nachtrag: Leben in der Quantenwelt?


Offenbar gelten die Prinzipien der Quantenmechanik nicht für nur den Mikrokosmos, sondern beeinflussen auch die makroskopische Welt. Viele Physiker glauben heute, diese Theorie treffe auf alles zu, ob groß oder klein. Erweist sich dies als zutreffend, dürfte sich unser Weltbild weitreichend verändern.
Die Gesetze der Quantenmechanik beherrschen danach nicht nur die Welt der Atome und Elementarteilchen, sondern liegen in größerem Maßstab auch der Natur zu Grunde. Vielleicht machen sich sogar Pflanzen bei der Fotosynthese oder Zugvögel bei der Orientierung typische Quanteneffekte zu Nutze. ( → "Leben in der Quantenwelt", Spektrum der Wissenschaft, 11/2011)
Vlatko Vedral, der Autor des verlinkten Artikels, glaubt nicht mehr an eine klare Grenze zwischen quantenmechanischem Mikrokosmos und dem klassischen Makrokosmos:
"...Stephen Hawking von der University of Cambridge und viele andere Physiker glauben, dass die Relativitätstheorie einer fundamentaleren Theorie weichen muss, in der es weder Raum noch Zeit gibt. Die klassische Raumzeit geht demnach durch den Vorgang der Dekoheränz aus quantenmechanischen Verschränkungen hervor..."