Wer als Säugling getauft wurde, mag zudem einwenden, er habe eine Entscheidung revidiert, die ihm aufgezwungen worden sei. Übrigens kann der Effekt der Taufe nach Überzeugung der Amtskirche selbst durch den Kirchenaustritt nicht rückgängig machen:
In katholischen Dekreten wird ausgeführt, dass das Sakrament der Taufe zum Heil notwendig ist, Nachlassung der Erbsünde und aller persönlichen Sünden bewirke [...], die die Zugehörigkeit zur Kirche konstituiere und den Getauften auf die Gesetze der Kirche verpflichte. Dem Einzelnen werde "ein unauslöschliches Merkmal, (Character indelebilis) eingeprägt, den er Zeit seines Lebens nicht mehr ablegen kann, selbst wenn er aus der Katholischen Kirche oder überhaupt aus den Kirchen austritt (!).
Der römisch-katholische Katechismus (KKK) äußert sich unter Nr. 1250 folgendermaßen zur Taufe von Kindern:
"...die Kirche und die Eltern würden dem Kind die unschätzbare Gnade vorenthalten, Kind Gottes zu werden, wenn sie ihm nicht schon bald nach der Geburt die Taufe gewährten."...Überzeugungssache, wie immer in religiösen Fragen. Interessanter ist vielleicht die Frage, ob einem Austritt ein bewusster Entscheidungsprozess pro oder contra Kirche vorangeht. Ein Austritt aus der Kirche ist eine Angelegenheit von vielleicht 15 Minuten – man geht dazu auf das Standesamt, bezahlt wie immer eine Gebühr und unterschreibt ein Formblatt. Das war's.
Noch vor 50 Jahren wäre Schließlich wäre der Vollzug einer solchen Entscheidung für die große Mehrzahl der Deutschen undenkbar gewesen, so sehr war die Gesellschaft von der Überzeugung durchdrungen, dass es außerhalb der Kirche kein Heil gibt. Speziell seitens der römisch-katholischen Kirche wurde der Grundsatz forciert: “Extra ecclesiam nulla salus."
Dis ist die gewöhnlich zitierte Abwandlung eines Ausspruchs von Cyprian von Karthago ('extra ecclesiam salus non est'). Zuvor hatte schon Origenes klargestellt: „Außerhalb der Kirche wird niemand gerettet“.
Später wurde aus dem Satz des Cyprian die häufig verwendete Bezeichnung der katholischen Kirche als 'alleinseligmachende Kirche'. Dieser Grundgedanke ist seit der Allgemeinen Kirchenversammlung zu Florenz (1438–1445) ein feststehendes Dogma:
„Die heilige römische Kirche,[…] glaubt fest, bekennt und verkündet, dass niemand außerhalb der katholischen Kirche - weder Heide noch Jude noch Ungläubiger oder ein von der Einheit Getrennter - des ewigen Lebens teilhaftig wird, vielmehr dem ewigen Feuer verfällt, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist, wenn er sich nicht vor dem Tod ihr (der Kirche) anschließt.”Mit anderen Worten: Gläubig und fromm sein, die biblischen Gebote befolgen, Almosen verteilen und sogar strenges Fasten sollen nach dieser Lesart allein denen zum Heil gereichen, die durch Taufe und Glauben zur katholischen Kirche gehören und in ihr bleiben:
“Mag einer noch so viele Almosen geben, ja selbst sein Blut für den Namen Christi vergießen, so kann er doch nicht gerettet werden, wenn er nicht im Schoß und in der Einheit der katholischen Kirche bleibt” (Fulgentius)Sofern man sich dieses Dogma für bare Münze nehmen wollte, hätten nicht allein nur ‘Ungläubige’ und ‘Heiden’ die ewige Hölle zu erwarten, sondern auch eine evangelische Ehefrau und die erkennbar um ihr Seelenheil bemühten Evangelikalen sowieso. So viel zur Ökumene.
Der Fairness halber sollte ergänzt werden, dass die Auffassung von der “alleinseligmachenden Kirche” auch innerhalb der katholischen Theologie ausgesprochen kontrovers diskutiert und nicht durch das kirchliche Lehramt rezipiert wurde.
Der Konsens geht meist dahin, 'nur' jene zu verdammen, die eine Chance hatten, die katholische Gemeinschaft der Heiligen, Scheinheiligen und vieler ernsthafter ‘Arbeiter im Weinberg Gottes’ kennen zu lernen und diese Chance nicht genutzt haben.
Erkennbar hat dieser radikale Absolutheitsanspruch in der heutigen Lebenswirklichkeit keine praktische Bedeutung mehr. Geht man der ‘Kirchenfrage’ mit Ernsthaftigkeit nach, verbietet es sich m.E., nur die Rosinen auszuwählen, um nicht den gesamten, höchst ambivalenten Charakter einer Kirche wahrnehmen zu müssen.
Dennoch - wer sich nach wie vor der katholischen Glaubensausprägung tief verbunden fühlt, dürfte ein Verlassen dieser Gemeinschaft im Grunde kaum je in Erwägung ziehen.
Ich für meinen Teil bereue meine Entscheidung vor knapp 20 Jahren bis heute nicht, die katholische Kirche verlassen zu haben - denn es war und ist mir nicht möglich, mich mit deren Glaubensbekenntnis (Credo), Dogmen und 'Früchten' zu identifizieren. Doch habe ich es mir damals zu leicht gemacht, was allein zählte, war der Grund, 'danach' nicht mehr kirchensteuerpflichtig zu sein.
So gesehen ist zwar meine Entscheidung konform zu meiner Glaubenshaltung, aber sie erfolgte damals aus dem falschen Grund.
Bezogen auf die Heilslehre macht die Mitgliedschaft alleine keinen großen Unterschied:
Hinsichtlich des persönlich realisierten Glaubens und der christlichen Praxis kann sowohl ein 'Verlorengehen' innerhalb wie als auch außerhalb der Kirche eintreten.
Grundbedingung sei das Maß, in dem ein Mensch die Heilsmittlerschaft Christi erkannt habe. Erst diese Einsicht verpflichte dazu, ihr auch äußerlich-kirchlich zu folgen, da man sich sonst wissentlich vom Heil ausschließen würde.
Meiner persönlichen Überzeugung nach kommt es in hohem Maße auf 'Glaubens- und Verhaltensintegrität' an, falls nach unserem Tode eine Rückschau und Beurteilung unseres Lebens stattfindet (nicht mit dem Ziel von Belohnung oder Bestrafung, sondern um zu lernen und seelisch zu wachsen.
Wer ethische Grundsätze und Glaubenswahrheiten für sich glaubt als zutreffend erkannt zu haben und ihnen dann bewusst zuwiderhandelt oder sich aus Trägheit nicht ernsthaft um ihre Beachtung bemüht, wird rückblickend erhebliche Defizite zu verantworten haben.
Ob der einzelne diese Verantwortung vor seinem 'Höheren Selbst, vor Gott oder vor einem in vielen Religionen vorgesehenen Gericht zu tragen hat, halte ich dabei für sekundär.
Die unausweichliche Selbsterkenntnis wiegt schon zu Lebzeiten oft am schwersten.
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